Wertgutachten und Gegengutachten im Schadensersatzprozess
Veröffentlicht von Antje Rahn am
In vorliegendem Rechtsstreit ging es um ein Pferd, das in einem Pensionsstall verunfallt war. Der Wallach hatte ein Vorderbein in der Boxentür eingeklemmt und sich dabei so schwer verletzt, dass er euthanasiert werden musste.
Nachdem Kausalität und Verschulden geklärt waren, stritten die Parteien um den schadensfreien Verkehrswert des, zum Schadenszeitpunkt siebenjährigen Dressurpferdes.
Wertbildende Kriterien
Der Wallach war vierjährig auf einer Eliteauktion zu einem sechsstelligen Preis zugeschlagen worden.
Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Siebenjährige noch wenig turniersportlich gezeigt und gerade in seiner ersten S- Dressurprüfung gestartet. Videos der Prüfung, sowie ein Trainingsvideo lagen vor.
Wie in solchen Fällen nicht selten, lag das Kaufangebot einer Zeugin vor.
Gerichtsgutachten vorliegend, Gegengutachten beauftragt
Durch den Gerichtssachverständigen war das Pferd auf Grundlage aller vorliegenden Informationen auf einen hohen fünfstelligen Betrag geschätzt.
Damit war die Klägerin aus nachvollziehbaren Gründen nicht einverstanden und beauftragte ein Gegengutachten als Parteigutachten, um das für sie nachteilige Gerichtsgutachten zu erschüttern.
Wertermittlung von Pferden
Bei der Wertermittlung von Pferden sind verschiedene Bewertungsansätze möglich.
Das Standardverfahren ist die Vergleichswertermittlung, die auch vorliegend anzuwenden war.
Dabei wird der Marktwert (Verkehrswert) eines Pferdes geschätzt, d.h. der Preis, der zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht (Stichtag), im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den tatsächlichen Eigenschaften des Pferdes ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre. Geschätzt werden soll der Preis, zu dem ein qualitativ vergleichbares Pferd mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Geschädigten wieder zu beschaffen wäre.
Grundsatz der Vergleichswertermittlung ist zunächst die möglichst umfassende und genaue qualitative Charakterisierung des zu bewertenden Pferdes anhand der sog. wertbildenden Faktoren.
Hiervon ausgehend wird, soweit möglich mit offiziell registrierten oder bekannten Kaufpreisen verglichen und der Marktwert des Pferdes zum Schadenszeitpunkt geschätzt. Kaufpreisangebote aus Internetplattformen können die Nachvollziehbarkeit der Wertermittlung untersetzten, geben jedoch allenfalls grobe Hinweise auf ein Kaufpreisniveau.
Besonderheiten bei postmortaler Wertermittlung außergewöhnlicher Pferde
Problem war vorliegend, dass es für siebenjährige Dressurpferde keine offiziell registrierten Preise gibt und nachgereichte Kaufpreisangebote bei der sachverständigen Wertermittlung i.d.R. “Schall und Rauch“ bleiben.
Vor allem aber, ist der Wert von siebenjährigen Dressurpferden kaum von Art und Anzahl ihrer Platzierungen, ganz entscheidend jedoch von ihrem Potential abhängig. D.h. ein siebenjähriges S-Dressurpferd mit hoher Grundqualität und Perspektive Richtung Grand Prix rangiert in einem ganz anderen Preissegment als ein solides S-Pferd mittlerer Qualität.
Mit diesem Preissegment für Nachwuchsspitzen mit Grand-Prix-Potential haben die wenigsten Sachverständigen zu tun, die Preise liegen im Dunkeln.
Vergleiche mit irgendwelchen Preisangeboten für S-Dressurpferde aus den Verkaufsanzeigen einschlägiger Internetplattformen helfen dabei nicht weiter. Im Gegenteil- die Angebote sind nicht sachdienlich.
Durch den Gerichtssachverständigen war der streitgegenständliche Wallach anhand des Prüfungsvideos als unfertiges S-Dressurpferd qualifiziert und mit Preisangeboten für S-platzierte Dressurpferde im Internet verglichen worden.
Gerichtsgutachten und Gegengutachten
Dies war der Ansatzpunkt für das, durch die Klägerin beauftragte Gegengutachten.
Denn maßgeblich für den Verkehrswert waren hier gerade nicht-wie durch den Gerichtssachverständigen unrichtig postuliert- die wenigen registrierten sportlichen Erfolge des Siebenjährigen und dessen mangelnde Lektionssicherheit in seiner ersten S-Dressurprüfung, sondern dessen tatsächliche Grundqualität (Videos) i.V.m. der konkreten Aussagekraft der wenigen turniersportlichen Erfolge.
Vorliegend waren dies ein Sieg und eine Platzierung des Fünfjährigen in Dressurpferdeprüfungen der Kl.L und zwei Siege in Dressurpferdeprüfungen der Klasse M als Sechsjähriger, der erste Start in einer Dressurprüfung der Kl.S unplatziert.
Bei Nachwuchspferden Dressurpferdeprüfungen aussagekräftig
Nicht Dressurprüfungen, sondern Dressurpferdeprüfungen sind das Maß der Dinge bei der Bewertung der sportlichen Erfolge von Dressurnachwuchspferden.
In Zusammenhang mit dem hohen Aukionspreis und den vorliegenden Videos reflektierten diese Erfolge die hohe Grundqualität des streitgegenständlichen Pferdes, sowohl hinsichtlich seiner Grundgangartenqualität, als auch hinsichtlich Rittigkeit und Leistungsbereitschaft. Letzteres kaum zu unterschätzendes Kriterium für die weitere Entwicklung angehender Spitzensportler.
Hinzu trat die, auf dem vorgelegten Ausbildungsvideo dokumentierte Bereitschaft und Veranlagung des Wallachs für Lektionen höchster Versammlung bis hin zu fleißigen, kadenzierten halben Tritten.
Gegengutachten unterstützte die Durchsetzung des geltend gemachten Schadensersatzanspruches
Ausgehend von der Qualität des streitgegenständlichen Pferde konnte der streitgegenständliche Wallach mit dem, der Sachverständigen aus eigener Handelserfahrung bekannten Preisniveau für 7-9-jährige, weit ausgebildete Dressurnachwuchspferde mit Grand Prix-Potential verglichen werden.
Im Ergebnis konnte die Klägerin das Gutachten des Gerichtssachverständigen erfolgreich angreifen und die Höhe ihres geltend gemachten Schadensersatzanspruches für das Gericht nachvollziehbar untersetzen.